Wir haben schon an anderer Stelle darauf hingewiesen: Mit
den Socken ist das so eine Sache. Wir
glauben heutzutage
– wie bei so vielen Dingen – genau Bescheid
zu wissen,
sie
in- und auswendig zu kennen. Kaum jemand verschwendet daher je einen
anderen Gedanken an diese fadenverwobenen Gebilde als die
zugegebenermaßen recht entscheidende Frage, ob sie sauber sind oder
einer Wäsche bedürfen - und doch bergen sie schon auf den zweiten
Blick ungeahnte Geheimnisse. Wer
hat es zum
Beispiel nicht
schon erlebt? Gerade hatte man noch mehr als genug von ihnen im
Schrank, da scheinen sie sich auch schon in Luft aufzulösen. Auch
das Vereinzeln von
zuvor
paarweise vorhandenen
Socken gehört zu den eigentlich ganz offensichtlich ungeklärten
Phänomenen der Sockennatur. Widmen wir also für eine Weile unseren
so unscheinbaren Fußwärmern unsere ungeteilte Aufmerksamkeit,
folgen
ihren Spuren und tauchen ein in ihre Welt.
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| Junges Sockentier |
Socken
scheinen demnach die Fähigkeit zu haben zu verschwinden. Jene, die
das paarweise tun, fallen dabei weitaus weniger auf als solche, die
einen vereinzelten Partner zurücklassen. In dem einen wie auch in
dem anderen Fall nimmt ihre absolute Zahl jedoch ganz eindeutig ab.
Schaut man dem Treiben nun einige Wochen tatenlos zu, entsteht nach
und nach unweigerlich der immer wiederkehrende Mangelzustand, der bis
heute noch allen Ansätzen logischer Erklärungen getrotzt hat. Diese
Erklärungsversuche hatten jedoch alle eines gemein: Sie basierten
auf der verständlichen, aber irrigen Annahme, Socken seien bloße
Materie, also unbelebtes Material ohne eigenen Willen oder
Hintersinn. Tatsächlich ist aber das Gegenteil der Fall! Auch
handelt es sich keineswegs um Magie, die uns der Socken beraubt,
nein. Unsere bahnbrechenden Forschungen der letzten Jahre bestätigen
eindeutig, dass es sich bei den sogenannten „Socken“ um eine
bislang verkannte Art, ein unauffälliges, in gewissen Teilen seines
Lebenszyklusses sehr scheues Lebewesen handelt, welches als
Kulturfolger seit hunderten von Jahren mit uns Menschen in einer Art
Symbiose lebt, die den meisten von uns allerdings in keiner Weise
bewusst ist. Im Folgenden sollen unsere Erkenntnisse kurz skizziert
werden, um endlich Licht ins Dunkel der Ereignisse zu bringen.
Was
also hat es in Wahrheit mit dem geheimnisvollen Verschwinden der
Socken auf sich? Um dies
erklären zu können, müssen wir unseren Blick auf die bislang
unbekannte Biologie dieser Wesen richten. Betrachten
wir den Lebenszyklus der Socken im Detail, so erkennen wir drei
Entwicklungsstadien. In den ersten Tagen ihres Seins ähneln Socken
nichts so sehr wie einem bloßen Faden. Diese fadenähnlichen Gebilde
können, wie auch die späteren Socken selbst, in allen uns
bekannten Farben auftreten und
auch von unterschiedlicher Dicke sein.
Über die nun folgenden Wochen entwickeln sich aus den länger
werdenden Fäden
allmählich komplexe
Gebilde, die zunächst an Schläuche erinnern, um nach schier
endlosen Verschlingungen schließlich die uns bekannten Säckchen zu
bilden, die wir „Socken“ nennen und uns ungefragt an die Füße
stecken. Es ist noch nicht
abschließend geklärt, ob dieses Zusammentreffen zwischen Mensch und
Sockentier für die Weiterentwicklung der letztendlich possierlichen
Tierchen von Bedeutung ist oder es sich schlicht um einen weiteren
Akt der Ausnutzung der Natur durch den Menschen handelt.
Die
„Socken“ jedenfalls
sind nur die Larven des Sockentieres,
es ist also ein
Zwischenstadium, welches früher oder später eine Metamorphose
durchläuft und sich dabei zum eigentlichen Sockentier
weiterentwickelt. Dieser Vorgang scheint nach unserem heutigen
Kenntnisstand durch fortgesetzte
Bewegung in
detergentienhaltigem Wasser angetrieben
zu werden. Vor allem handelsübliche Waschmaschinen bieten hier ganz
offensichtlich ideale
Bedingungen.
Hat
sich bei einem solchen Waschvorgang nun aus der Larve ein Sockentier
entwickelt, tritt es in aller Regel die Flucht über den
Abwasserschlauch an, wie traurige Funde missglückter Versuche in
Waschmaschinenpumpen nahelegen. Nur in seltenen Ausnahmen verbleiben
die fertig entwickelten Tiere in den menschlichen Behausungen – zu
traumatisch sind meist die Erfahrungen der Tiere im wehrlosen
Sockenstadium.
Stattdessen
leben die entkommenen Sockentiere hierzulande oft in großen Kolonien
unweit der Dörfer und im Umfeld der Städte im Untergrund. Ein
weiterer verbreiteter Irrtum ordnet die vielerorts sichtbaren Hügel
lockerer Erde, die aus dem Graben der komplexen Gangsysteme
resultieren, einem anderen Lebewesen zu. Tatsächlich sind Maulwürfe
aber nur die Nutznießer und Haustiere der vollentwickelten
Sockentiere, helfen gut ausgebildet bei den Grabungsarbeiten und
vielen frisch entflohenen Socken durch ihre gutmütige Art und ihr
Bedürfnis nach Liebe bei der seelischen Verarbeitung der Larvenzeit.
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| Eines der von uns nachgezogenen Sockentiere in seinem Element. |
Da Sockentiere vor allem
nachtaktiv und dem Menschen gegenüber verständlicherweise sehr
scheu sind, bekommt man sie nur selten zu Gesicht, was den bislang
mangelhaften Kenntnisstand der heutigen Forschung erklärt. Die
besten Chancen haben Beobachter in sommerlichen Vollmondnächten, da
sich die Tiere dann zu ihrem alljährlichen Balzritual an der
Erdoberfläche treffen. Gerade auf dicht bevölkerten Wiesen kann man
sie dann ihren uralten Tanz tanzen sehen und sich auf die neue
Generation von Socken freuen - wobei deren Nutzung nach Meinung der
Autorin aus ethischer Sicht grundsätzlich neu überdacht werden
müsste. Weitergehende Forschungen werden hier dringend benötigte
Erkenntnisse bringen.
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| Hier eine der ganz wenigen Aufnahmen wildlebender Sockentiere, aufgenommen in der gerade vergangenen Vollmondnacht. | | |
Übrigens scheint sich
auch ein weiteres geheimnisvolles Phänomen mit Hilfe der
Sockenforschung erklären zu lassen. Noch ist es etwas zu früh für
dezidierte Angaben, aber es verdichten sich die Hinweise, dass wir
schon bald auch die vereinzelten Schuhe am Straßenrand in einem
anderen Licht sehen werden. Wir werden zu gegebener Zeit darüber berichten.
Es ist uns gelungen, einzelne
Sockentiere von Hand aufzuziehen:
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| Zahmes Sockentier aus Handaufzucht |
Die so umsichtig gepflegten Tiere
sind zahm und dem Menschen sehr zugetan. Dadurch konnten wir weitere
interessante Details über ihr Zusammenleben unter der Erde in
Erfahrung bringen und wissen heute, dass sich vollentwickelte,
erfahrene Tiere, die wir gerne liebevoll „alte Socken“ nennen,
nach ausführlicher Suche und sehr genauem In-Augenschein-nehmen
schließlich - bevorzugt lebenslang - binden. Die so vereinten
Partner müssen durchaus nicht einer Farbe oder Größe sein,
vielmehr vereint sie ein gemeinsamer Sinn für das Schöne im Leben,
das Bedürfnis füreinander einzutreten und den Weg gemeinsam durch
dick und dünn zu gehen. Man kann es am ehesten mit einem Gleichklang
der Seelen bezeichnen, der beide durch die Höhen und Tiefen, die
auch in einem Sockenleben vorkommen, zu tragen vermag. In diesem
Sinne vereinte Socken erfreuen den Betrachter mit der zumeist von
ihnen ausgehenden Ausstrahlung der entspannten Glückseligkeit. Als
Zeichen dieser Liebe kommt es dann des Öfteren auch zum
ausschließlich paarweisen Entlassen kleiner Geschwisterfäden in die
Welt, die damit den Kreis der Entwicklung der Sockentiere schließen
und einen neuen Zyklus des Lebens starten.